„Erinnerst Du Dich an den ersten Ton, den du jemals gehört hast? Das war vor sehr langer Zeit. Unmöglich sich daran zu erinnern. Es war, bevor du geboren wurdest.“ Mit diesen Worten beginnt der Film „Die Reise des Chinesischen Trommlers“. Er spricht vom Urton. Der Ton, den wir erfahren haben, als wir im Leib unserer Mutter waren. Er gab uns Sicherheit und Wärme. Mit der Geburt wurde uns dieser Ton genommen.
Ich sitze in einem Yogazentrum und beobachte die Menschen, wie sie hereinkommen. Sie erwartet heute eine Gongmeditation. Freudig erwartend bemerke ich die Einen, etwas unsicher, ob des Neuen und Unbekannten die Anderen. Doch alle sind sie dazu bereit, sich dem Klang meines Gongs hinzugeben.
Muster durchbrechen
Wenn wir auf ein Stück Holz klopfen, so erwartet unser Verstand einen bestimmten Ton, der ihm sicher geliefert wird. Er fühlt sich bestätigt und gibt als Reaktion weiter: Alles in Ordnung. Der Klang des Holzes ist vorhersehbar und als bekannt abgespeichert. Die Rezeptoren erhalten das, was sie erwarteten. Sie wurden danach programmiert. Vor langer Zeit geschah das. Wir nennen es Muster oder Programme in unserem Kopf. Sie geben uns Sicherheit, lassen uns zwischen gut und schlecht, annehmend und ablehnend unterscheiden. Wir tragen abertausende von diesen kleinen Programmen und Mustern in uns – bereits seit der Zeit vor unserer Geburt im Mutterleib, später aus unserer Kindheit. Gleichzeitig jedoch sind wir Gefangene unserer Verhaltensmuster. Sie lassen keine Veränderung zu, sie entscheiden für uns, sie handeln für uns, sie sind „Wir“.
Der Gong aber durchbricht sie. Yogi Bhajan, der Meister des Kundalini Yoga, sagte dazu: „The Gong is not sound, the gong is resound.“ Er erklärt: „Wenn du in die Berge gehst und nur ein Wort rufst, so wird das Echo tausend mal mehr erschallen und tausen Meilen weiter klingen. Das ist die Kraft des widerklingen Sounds. Wir nennen es Anahad, der Klang ohne Grenzen.“
Der Gong klingt nicht durch den Schlag seines Spielers, er ertönt durch den Sound, der vom letzten Schlag zurück kommt und vermischt sich mit ihm zu einem neuen Klang. Und mit jedem einzelnen Gongschlag, addiert sich der Widerklang des Gongs zu einem Klangraum, der die Zuhörer hinfort trägt – der Resound. Er ist nicht vorhersehbar, er bedient kein Muster und verwirrt die Zuhörer. Ihr Verstand weiß ihn nicht einzuordnen. Der Gong durchbricht und öffnet die Teilnehmer.
Vorbereitung auf die Gongmeditation
Wir bereiten uns mit einer Übungsreihe aus dem Kundalini Yoga vor. Anschließend legen sich die Teilnehmer flach auf den Rücken, decken sich zu und erwarten die Gongmeditation. Die Kunst dieses Gongspiels wurde von Yogi Bhajan in alter mündlicher Tradition auf seinen Schüler Nanak Dev Singh übertragen. Dieser erklärte mir: „Spüre den Energiefluss der Gruppe und kreiere den Energiefluss, der vom Gong aus geht. Du selbst als Gongspieler bist nur ein hauchdünnes Papier. Du reagierst nicht. Durch dieses hauchdünne Medium nimmt dein Bewusstsein Informationen auf, die genutzt werden, um die Meditation zu führen.“ Ich weiß seit dem: Je reiner mein Bewustsein ist, um so reiner sind die Informationen die durch mein Nervensystem gehen und sich im Gong manifestieren. Nanak Dev weist darauf hin, daß diese Reinheit essentiell ist, um sich auf die Schwingungen der energetischen Blockaden – alte Muster, Verletzungen oder Krankeiten der Teilnehmer einzustimmen und sie zu neutralisieren.
Der Gong kommt zu seinem Höhepunkt- dem weißen Sound. Er ist klar und rein, pure Kraft. Nichts kann ihm widerstehen. Dieser Sound ist Anahad. „Er vibriert, erschafft Licht und Leben“, so Yogi Bhajan. Ich fokussiere all meine Konzentration auf den Gong. Seine Wellen sind so stark, daß die Teilnehmer sie auf der Haut spüren können, der Holzbboden des Yogazentrums vibriert, die Wände werfen den Sound zurück und vermischen ihn mit den neuen Kängen – Resound pur. Jedes mal von Neuem, niemals vorhersehbar.
Nach der Gongmeditation hole ich die Teilnehmer behutsam aus ihren Tiefen zurück. Der Blick in ihre Augen verrät, daß sie weit entfernt waren und der laufend Gedanken produzierende Verstand ruhig gestellt wurde. Manche unter ihnen fochten einen inneren Kampf mit dem Gong. Die Hingabe zum Gong bedeutet das Loslassen der Kontrolle über sich selbst. Der ein oder andere Verstand möchte diese Kontrolle nicht abgeben und kämpft darum.
Eine Teilnehmerin kommt zu mir und berichtet, eine unheimliche Hitze wäre über sie gekommen, als der Gong den weißen Sound spielte. Andere erklären regelmässig, daß sie Ängste durchstehen mußten. Aber niemanden läßt die Gongmeditation kalt. Und so zieht der Gong die Menschen seit Alters her in ihren Bann.